„Luther, Kolumbus und die Folgen – Welt im Wandel“, die große Sonderausstellung des Germanischen Nationalmuseums (GNM) eröffnete diese Woche und seitdem strömen die Besucher*innen regelrecht in die Ausstellung. Reiht sich damit auch das Germanische Nationalmuseum in die lange Reihe der Lutherausstellungen im Reformationsjahr 2017 ein? Bereits 1983, dem 500. Geburtstag Martin Luthers, war ein Jahr der Lutherausstellungen im damals noch geteilten Deutschland und das GNM in Nürnberg als großes westdeutsches Museum mit dabei. Doch jetzt steht nicht mehr Luther mit seiner Biographie im Mittelpunkt, sondern das 16. Jahrhundert als Zeit des Übergangs und der Veränderungen. Die Welt im Wandel! Luther wird von den Kuratoren, Dr. Thomas Eser in Zusammenarbeit mit Dr. Stephanie Armer, Marina Rieß M.A. und Dr. Daniela Bauer, in einem größeren Zusammenhang gezeigt.
Luther, Kolumbus und Kopernikus – Skandal, Irrtum, Hypothese!
Wie geht das 16. Jahrhundert mit den Veränderungen um? Das kann als Leitfrage für die Ausstellung formuliert werden, die einen „mentalitätsgeschichtlichen Ansatz“, so Eser, verfolgt. Für die Veränderungen der Zeit stehen drei Persönlichkeiten am Anfang der Ausstellung: Luther, mit seiner Kritik an der Kirche, Kolumbus, der 1492 die neue Welt, das später sogenannte Amerika, entdeckte und Kopernikus, der den Verlauf der Gestirne erforschte und erkannte, dass sich die Erde um die Sonne dreht und nicht anders herum. Sinnbildlich für diese drei Persönlichkeiten, die die Welt aus ihren alten Fugen hoben, stehen am Anfang der Ausstellung ihre Portraits und je ein Raum der ihre Errungenschaften erläutert.
- Lucas Cranach: Bildnis Martin Luthers im fünfzigsten Lebensjahr, 1533 Malerei auf Buchenholz 20,5 cm hoch x 14,5 cm breit Germanisches Nationalmuseum, Nürnberg Dauerleihgabe der Bayerischen Staatsgemäldesammlung Foto: Germanisches Nationalmuseum
- Leonard Torwirt: Nicolaus Copernicus, um 1946/52 Kopie nach dem Thorner „Gymnasial-Porträt“ aus dem 16. Jahrhundert Malerei auf Holz 62,5 cm hoch x 53 cm breit Muzeum Okręgowe w Toruniu, Toruń Foto: Germanisches Nationalmuseum
- Skelett des „Langen Anton“, präpariert 1596/97 244 cm hoch Museum Anatomicum – Medizinhistorisches Museum, Philipps-Universität Marburg Foto: Germanisches Nationalmuseum
- Bildnis des Christopher Kolumbus, Italien, um 1520/40 Malerei auf Leinwand 48 cm hoch x 41 cm breit Pinacoteca Civica Como Foto: Germanisches Nationalmuseum
- Sebastian Münster: Neue Inseln als Neue Welt, 1549 Holzschnitt, koloriert, auf Papier 25,5 cm hoch x 33,5 cm breit Stiftung Eutiner Landesbibliothek, Eutin Foto: Germanisches Nationalmuseum
„Es knacket die Welt an allen Enden“ – Lust und Last des Neuen!
Mit diesen Worten Luthers ist der Ausstellungsraum zum Bildersturm überschrieben, den unmittelbaren und ungewollten Folgen der Kirchenkritik, aber nicht nur das sind einschneidende Ereignisse der Zeit. In einem weiteren Bereich werden in vielen Vitrinen die Zeit und ihre Neuentdeckungen gezeigt. Hier ist Schauen und Staunen angesagt! Die Frühe Neuzeit als Aufbruchszeit, als Zeit der Entdeckungen nach Innen und Außen, wird aufgezeigt, in der Erfahrungen und Experimente an Bedeutung und Ansehen gewannen. Die Lust am Fremdartigen und Außergewöhnlichen, sowie Unbekannten wurde geweckt, dabei rückte der Mensch und sein wortwörtliches Innerstes genauso ins Interesse wie die Neue Welt und ihre Bewohner*innen sowie Kultur und sogar das Weltall.
Endzeitstimmung und Erlösung!
Diese Veränderungen der Wissenschaft, diese irreversiblen Neuerkenntnisse, weckten nicht nur Euphorie in den Menschen – im Gegenteil: Luther war der Meinung, und mit ihm viele andere auch, dass das Jüngste Gericht bevorsteht. Es herrschte geradezu Endzeitstimmung und beunruhigende Nachrichten, die als Vorzeichen der Umwelt auf den Weltuntergang gedeutet wurden, machen die Runde. Genutzt wurde dafür das zu dieser Zeit neue und innovative Medium der Flugblätter. Davon handelt die nächste Ausstellungseinheit.
Kunst- und Wunderkammer
Genauso entbrannte der Wunsch nach paradiesischen Rückzugsorten. Die Ausstellungseinheit, die sich mit der Kunst- und Wunderkammer befasst, ist in ihrer Gestaltung diesen Einrichtungen nachempfunden. Dieser frühneuzeitliche Vorläufer des Museums war ein Sammelsurium unterschiedlichster Objekte aus den Bereichen Kunst, Natur und Wissenschaft. In der Ausstellung ist stets ein Objekt mit einem zeitgenössischen Buch oder einer Graphik des gleichen Themas kombiniert und zeigt so die Kunstkammer in ihren Funktionen als Ort des Staunens und des Lernens. Eingeleitet wird sie mit dem Verschwinden des Paradieses von Landkarten und der Auseinandersetzung mit dem Schönen in dieser Welt.
- Automat in Mönchsgestalt, Süddeutschland oder Spanien, um 1560 Pappelholz, Eisen 39,7 cm hoch x 12,5 cm breit x 18 cm tief Deutsches Museum, München Foto: Germanisches Nationalmuseum
- Berthold Holzschuher: Der „Genetto“, illustriert von Albrecht Glockendon d.J., 1558 Manuskript 45 cm hoch x 38 cm breit Germanisches Nationalmuseum, Nürnberg Foto: Germanisches Nationalmuseum
- Narziss Renner (?): Jüngstes Gericht, Augsburg, um 1530 Malerei auf Tannenholz 135,8 cm hoch x 175,7 cm breit Germanisches Nationalmuseum, Nürnberg Foto: Germanisches Nationalmuseum
- Wolff Drechsel: Nordlicht über Nürnberg, 1591 Holzschnitt, koloriert 42 cm hoch x 32,3 cm breit Germanisches Nationalmuseum, Nürnberg Foto: Germanisches Nationalmuseum
- Cornelis Jacobsz van Culemborch: Eisberg am Pier von Delfshaven, 1565 Malerei auf Holz 78 cm hoch x 135 cm breit Museum Rotterdam Van de Stad Dauerleihgabe der Koninklijk Oudheidkundig Genootschap, Amsterdam Foto: Germanisches Nationalmuseum
- Jörg Merckel: Flugblatt über eine Hexenverbrennung, Nürnberg, 1555 Holzschnitt, koloriert 37,9 cm hoch x 26,5 cm breit Germanisches Nationalmuseum, Nürnberg Foto: Germanisches Nationalmuseum
Es wird kälter!
Zum Ende hin wird es kälter, nicht nur wegen des Themas, sondern auch die Temperatur sinkt spürbar. Der Höhepunkt der Kleinen Eiszeit in dieser Epoche fällt zusammen mit der Entstehung der Winterlandschaften in der Kunst, die zum Teil historische Ereignisse wie den Eisberg im Delfter Hafen abbilden. Aber auch die Hexenprozesse, bei denen den Angeklagten oft Wettermacherei vorgeworfen wurde, wird in diesem Teil der Ausstellung als Folge gezeigt.
Homo bulla est – der Mensch ist eine Seifenblase!
Die Ausstellung endet mit dem Menschen als Seifenblase. Hier können die Besucher*innen Rückmeldung auf verschiedene Fragen zum Wandel geben und die Antworten anderer unterstützen. Die Welt im Wandel – Segen oder Fluch? Und was geht uns das heute an? Diese Fragen werden den Besucher*innen am Ende gestellt und jede*r darf diese beantworten und sich darüber mitteilen. Damit werden die Besucher*innen aus der Ausstellung entlassen.
Die Ausstellung
Die nur im ersten Moment dunkel wirkende Ausstellung wird durch Farbe und zum Teil indirektes Licht in Einheiten unterteilt. Trotz vieler verschiedener Farben wirkt die Ausstellung nicht grell oder bunt, im Gegenteil die farbliche Ausstellungsarchitektur ordnet und unterstützt die Erzählung.
Obwohl die Ausstellung viel Flachware in Form von Büchern und Druckgraphik mit Schrift zeigt, wird sie nie langweilig. Die Objekte sind so geschickt ausgewählt und präsentiert, dass sich die Besuchenden einerseits auswählen können, was sie anschauen möchten und andererseits alle Objekte Interesse erzeugen sowie Begeisterung hervorrufend inszeniert sind. Die Ausstellung lädt zum Staunen genauso ein, wie zum vertieften Lernen. Dazu kommen auch die verschiedenen und unterschiedlichen Medienstationen zum Einsatz. Die Ausstellung enthält beispielsweise Hörstationen, dort wird die Zeit, durch zeitgenössische Augenzeugenberichte, authentisch erlebbar. Sie bieten einen Mehrwert, ohne dass sie für den Ausstellungsrundgang unverzichtbar sind. Es gibt auch die Möglichkeit sich spielerisch für den alten oder neuen Glauben einzusetzen. An einer Station darf, in Anleitung am Tablett, ein eigenes Flugblatt entworfen werden.
- Blick in die Ausstellung Foto: Germanisches Nationalmuseum
- Blick in die Ausstellung Foto: Germanisches Nationalmuseum
- Blick in die Ausstellung Foto: Germanisches Nationalmuseum
- Blick in die Ausstellung Foto: Felix Schmieder
- Hands on Station – Druckgraphik mit der Hand des Jakob Damman Foto: Felix Schmieder
- Blick in die Ausstellung Foto: Felix Schmieder
- Blick in die Ausstellung Foto: Felix Schmieder
- Vor der Ausstellung – hier kann man die App mit Hilfestellung herunterladen Foto: Felix Schmieder
Vermittlung
Für den eigenständigen Rundgang gibt es auch erstmals im GNM eine kostenlose App, die den Benutzer*innen immer wieder Fragen stellt mit zwei Antwortmöglichkeiten. Diese werden im sogenannten Veränderungstacho zusammengeführt und bilden sowohl die eigene Einstellung zu Wandel, als auch die aller Nutzer*innen, ab. Die App kann aber noch deutlich mehr. Sie zeigt in der Nähe befindliche Objekte mit Zusatzinformationen in der App an und beinhaltet einen Lageplan zur Übersicht sowie Detailansichten einzelner Objekte. Außerdem ist die App gleichzeitig Audioguide. Die Informationen werden bei jeder Station in zwei möglichen Textformen vermittelt, entweder im Modus „Experte“ oder „Freund“.
Für Kinder gibt es einen analogen Rundgang: „Luther Kolumbus und der Vitzliputzli“, eine mesoamerikanische Figur aus vergoldetem Silber, die sich auch in der Ausstellung befindet. Das Heft dazu ist für zwei Euro erwerbbar und darin führt und erklärt diese Figur durch die Ausstellung in passender Sprache. Im Heft befindet sich eine Art Schnitzeljagd mit deren Lösungswort man am Ende an einem Gewinnspiel teilnehmen kann. Die Objekte dieses Rundgangs sind mit gelben Vitzliputzli-Nummern gekennzeichnet.
Für Zuhause gibt es darüber hinaus auch ein Digitorial, das nicht nur zur Vorbereitung genutzt werden kann, sondern auch im Nachgang. Die Ausstellung soll hier zusammen mit der Besucher*inneninteraktion dokumentiert werden. Wer sich gerne noch weiter mit dem Thema beschäftigen will, für den*die gibt es den umfangreich und qualitätvoll bebilderten Katalog zur Ausstellung.
Fazit: … und die Folgen?
Die Ausstellung „Luther, Kolumbus und die Folgen – Welt im Wandel“ ist nicht einfach nur ein Versuch auf den Zug der Lutherausstellungen im Reformationsjahr mit aufzuspringen, sondern bietet Mehrwert und deutlich andere Aspekte, sie sucht sich somit ihre eigene Nische im Reformationsjahr. Hier wird eine Zeit charakterisiert – die Wende vom Mittelalter zu Neuzeit wird mit all ihren Turbulenzen und Neuerungen, an denen auch Luther maßgeblich teil hatte, gezeigt.
Raumtexte finden in verständlicher, zeitgemäßer Sprache und bedacht Anwendung und bieten Informationen zur Einführung in ein Thema. Die Objekttexte binden die Ausstellungsstücke an die Erzählung und laden die Besucher*innen ein, die Ausstellung und das Thema auf eigene Faust zu erkunden und den Fokus selbst zu wählen. Die Objekte spielen somit für den Rundgang eine entscheidende Rolle, dabei muss jedoch nicht jedes einzelne Stück begutachtet werden, es bleibt Freiraum zum Auswählen. Die abwechslungsreichen Objekte, genauso wie die Ausstellungsgestaltung laden ein zum Staunen und Lernen. Die App und der Kinderrundgang bieten unterschiedliche Angebote und Einstiege für die Besucher*innen.
Die Welt im Wandel, mit Luther, Kolumbus und Kopernikus ist im GNM bis November zu sehen. Es lohnt sich!
Infobox
Germanisches Nationalmuseum
Kartäusergasse 1
90402 Nürnberg
Öffnungszeiten: Di-So: 10-18 Uhr, Mi: 10-21 Uhr, Mo: geschlossen
Eintrittspreis: Regulär: 8€, Ermäßigt: 5€
Laufzeit: 13.7.-12.11.2017
Bildquelle: Germanisches Nationalmuseum