Es gibt einen Gang, durch den man zum Vatikanischen Geheimarchiv gelangt, in dem eine schwer zugängliche und kaum erforschte Sammlung historischer Dokumente befindet. Im Fernsehen werden diese Räume nur selten gezeigt, die Wenigsten haben Kenntnis von dieser Sammlung. Doch das Archiv war Schauplatz des Thrillers „Illuminati“ und wurde dargestellt als Hightech-Festung mit sauerstoffarmer Luft und schusssicherem Glas. Doch in der Realität ist die modernste Vorrichtung ein antiquierter Fahrstuhl und die meisten Dokumente lagern in schmucklosen Betonräumen. Bücherregale, die eine Gesamtlänge von 40km aufweisen, bergen auch Schriftstücke, welche die Welt veränderten: den von Galileo unterzeichneten Widerruf, das Scheidungsgesuch Heinrich VIII. und einen napoleonischen Vertrag. 2001 tauchte hier ein 700 Jahre altes Dokument wieder auf, das nicht richtig katalogisiert worden war. Es offenbarte überraschende Details der Zerschlagung des mittelalterlichen Ordens der Tempelritter. Dieser wurde im 12. Jahrhundert zur Zeit der Kreuzzüge gründet. Diese christliche Kampftruppe sollte die Pilger im Heiligen Land schützen. Von Beginn an waren sie der Autorität des Papstes unterstellt, sie befolgten keine Anweisungen lokaler Autoritäten. Die sagenhaft reichen Templer besaßen Land und kontrollierten Handelswege. Sie verfügten also über sprudelnde Einnahmequellen. Als sie aus Palästina zurückkehrten, wurde ihnen jedoch dieser Reichtum zum Verhängnis.
Philipp IV, der hochverschuldete König von Frankreich, hatte es auf ihr Geld abgesehen. Er versuchte ihre Ländereien und ihr Vermögen in seinen Besitz zu bringen und nutzte seine Macht, um dies zu bewerkstelligen. Damit handelte er gegen die Interessen des Papstes. Der König streute Gerüchte, es gäbe geheime Aufnahmerituale, verbotene sexuelle Akte, das Kreuz würde bespuckt und Götzen würden verehrt. Es war ein effektiver Propaganefeldzug. Aus den Gerüchten wurden schnell Anklagen. Der König ließ fast 200 Templer verhaften, einschließlich ihres Großmeisters Jacques de Molay. Die Anklage lautete „Christusleugnung, Götzendienst und homosexuelle Handlungen.“ Er wurde wohl gefoltert bis er ein Geständnis ablegte. Unter der Folter gaben viele Menschen zu Ketzer zu sein, worauf lebenslänglich oder die Todesstrafe stand. Der Papst hielt zur Überprüfung der Geständnisse de Molays eine Gerichtsverhandlung ab, die in Chignon stattfand. Die Mitschrift dieser Verhandlung war verlorengegangen – bis jetzt! Vor dem Auffinden des Dokuments war umstritten, ob der Papst sein möglichstes getan hatte, um den Tempelritter zu retten. Doch das in lateinischer Sprache verfasste Schriftstück erzählt, wie es wirklich war: „Der Tempelritter Jacques de Molay, Großmeister des Templerordens ist hier vor uns erschienen.“ Er beschrieb seine Aufnahmezermonie, er gab an nicht auf das Kreuz gespuckt zu haben. Von homosexuellen Handlungen, Götzenanbetungen und verbotenen Küssen will er keine Kenntnis haben. Auch das Urteil der Kirche ist festgehalten. De Molay wurde der sexuellen Unmoral für schuldig befunden, jedoch nicht der Ketzerei. Somit war die Todesstrafe ausgeschlossen. Vor der Entdeckung dieses Schriftstücks hätte wohl niemand vermutet, dass der Papst sich so eindeutig um einen Freispruch bemühte. Er wollte weder, dass der König das Vermögen der Templer erhielt noch wollte er seine Kampftruppe verlieren.Das Urteil hätte den Orden schützen sollen, doch der König von Frankreich erwies sich als der mächtigere. Papst Clemens war zu schwach. Als Papst, den der König von Frankreich bestimmt hatte, war er praktisch dessen Untertan. Vier Jahre nach dem Prozess von Chignon löste der Papst den Orden der Tempelritter auf. Damit standen sie nicht mehr unter seinem Schutz und genau darauf hatte Philipp gewartet. Auf einer Insel in der Seine ließ der König Jacques de Molay verbrennen. Menschenverbennungen waren damals ein Volksvergnügen. Es war das Ende der Tempelritter. Doch de Molay hatte das letzte Wort. Es heißt, als er starb, habe er sowohl den König als auch den Papst verflucht. Sie würden innerhalb eines Jahres sterben. Der Papst war einen Monat, der König acht Monate später tot. Nach diesem aufschlussreichen Fund stellt sich die Frage, wie viele wichtige Dokumente noch im Vatikanarchiv schlummern und darauf warten, neue Erkenntnisse an den Tag zu bringen.
Bildquelle: Waldo Miguez (Pixabay)