Möchte man bei dem Thema „Kulturelles Erbe und Tourismus“ jegliches Kulturgut als kulturelles Erbe mit einbeziehen, so könnte man Tage zubringen, die unterschiedlichen Facetten der Stätten in Bezug auf die jeweilige Erbengemeinschaft zu erläutern. Aus diesem Grund wird hier vielmehr die Kategorie UNESCO-Welterbe beleuchtet. Lediglich vereinzelt kommt es zu Beispielen anderen Kulturerbes. Denn der Welterbetitel geht alle Menschen etwas an. Er definiert die gesamte Menschheit als Erben der jeweiligen Stätte. Durch diese Bedeutung für die Menschheit macht er das Objekt, die Stadt oder auch Landschaft zu einem attraktiven Reiseziel für Touristen. Sie wollen schlicht da gewesen sein und die erhaltene Vergangenheit selbst erleben. Der Titel Welterbe zieht dabei folglich ganz besonders. Der weltweite Tourismus nimmt sogar jährlich zu.
Der Tourismus wird seit seiner Entstehung mit sehr unterschiedlichen Meinungen betrachtet. Auf der einen Seite kann er lokales Handwerk fördern und neue Absatzmärkte bieten, das Problem der Landflucht zu gewissen Teilen einschränken oder möglicherweise gar aufhalten und einzelne Gegenden wieder neu beleben. Auf der anderen Seite bedroht er aber auch traditionelle Lebensformen und kann gerade durch Menschenmassen zerstörerisch auf die Umwelt einwirken.
Gerade durch den Aspekt der Zerstörung durch Masse kann daher in Bezug auf Tourismus und Kulturerbe von einem Spannungsfeld zwischen Schutz und Nutzung gesprochen werden. Als wesentliches Ziel der UNESCO gilt der Schutz der Welterbestätte. Hierbei handelt es sich vor allem um die langfristige Bewahrung derselben. Wichtig ist darüber hinaus auch, dass die Interessen der Einheimischen berücksichtigt werden. Da der Welterbetitel zu einer Attraktivitätssteigerung führt, soll und kann das Welterbe daher auch hilfreich und von Vorteil sein. So steht unter anderem ökonomischer Profit als ein Anliegen von Stadt, Land oder Kommune im Zentrum. Eine Stärkung des Raumes bedeutet dabei auch zeitgleich einen Ausbau von Infrastruktur, der wiederum ebenfalls Einheimischen nützen kann. Die Welterbestätte kann daher zu einem Ort des Austausches und der Kommunikation werden. Die Attraktivitätssteigerung bringt jedoch auch die Nähe zum Massentourismus mit sich. Dabei kann es schnell zu einer Übernutzung der Region kommen. Diese kann dann mitunter ökologische oder soziokulturelle Auswirkungen haben. Beispiele wären eine verstärkte Umweltbelastung oder eine Zerstörung von Biodiversität. Genauso kann es aber auch durch starke Präsenz von Touristen in Alt- und Innenstädten, zu einer Einschränkung der Lebensqualität Einheimischer kommen. Und letztlich gibt es durch Massentourismus auch – im wahrsten Sinne des Wortes – ein „Zertrampeln“ des Kulturerbes. Doch sollte man Kulturerbe deshalb verheimlichen oder gar nur ausgewählten Gruppen zur Verfügung stellen? Welche Lösungen gibt es?
Machu Picchu: Kulturelles Erbe vs. Touristenattrkation
Seit 1983 ist die peruanische Ruinenstadt Machu Picchu Welterbestätte. Täglich dürfen laut Angaben verschiedener Artikel und Aufsätze 2500 Menschen die Ruinenstadt besuchen. Die UNESCO forderte jedoch eine Herabsetzung auf rund 800 täglich – mehr nicht! Inzwischen ist die UNESCO von dieser radikalen Forderung abgewichen. 2012 hieß es bereits im 36. Bericht des World Heritage Commitees, dass es vermehrt auffällt, dass die festgelegte Grenze von 2500 Besuchern überschritten wird. Dennoch gibt aber Untersuchungen seitens der Management Unit for the Historic Sanctuary of Machu Picchu, die aussagen, dass durch einen Ausbau der Besucherwege mehr als 4000 Besucher gefasst werden könnten. Statistiken auf der Ticket-Buchungsseite im Internet zeigen, dass im Schnitt mehr als 3000 – 4000 Besucher die Ruinenstadt täglich besuchten. Auch ein Schaudiagramm der Fertur Peru Travels weist im Jahr 2013 eine Besuchszahl von 1.177.308 aus was im Schnitt rund 3225 Besucher am Tag bedeutet. Eine Reduzierung der Besucherzahlen ist somit nicht weiter eingetreten, auch, wenn es anscheinend weiterhin heißt, dass 2500 Besucher als Grenze gesetzt sind. Machu Picchu ist zudem immer wieder in der Gefahr auf die Rote Liste der UNESCO zu kommen. Im Jahr 2011 war die Ruinenstadt bereits dort gelistet. Im 39. Bericht des World Heritage Committees von 2015 heißt es wiederum, man überlege, ob sie nicht erneut auf die Liste solle. Gerade diese Thematik lässt an den Überlegungen von hohen Besuchszahlen zweifeln. Auch, wenn die Forderung der UNESCO bisher nicht umgesetzt wurde, bleibt zu überlegen, ob sie einen richtigen Weg bedeuten würde. Besteht nicht vielmehr eine Aufgabe des Managements von Welterbestätten auch darin, Zugänglichkeit zu ermöglichen statt einzuschränken? Und ist nicht das Weltkulturerbe für alle Menschen da? Ein Anspruch kann daher vielmehr sein, die Interessen aller Stakeholder zu berücksichtigen. Zu diesen zählen Personen und Institutionen aus dem öffentlichen, wie aus dem privaten Bereich, Einheimische, touristische Dienstleister und Touristen sowie NGOs oder die UNESCO.
Nachhaltiger Tourismus als Lösung?!
Einen Ansatz bietet dabei nachhaltiger Tourismus. Die Dimensionen der Nachhaltigkeit sind in ihrer klassischen Form heute weit verbreitet: Sie bestehen aus den Standbeinen Ökologie, Ökonomie und Soziales. Die Ökologie umfasst unter anderem Ressourcenschonung und eine Vermeidung der Belastung des Ökosystems. Die Ökonomie hingegen möchte die Wirtschaft und Vermarktungsnetze stärken und Profit erzielen. Die soziale Dimension schließlich will gleiche Rechte und Chancen für alle Menschen bieten, einen Lebensunterhalt durch Arbeit ermöglichen und die Gesundheit aller fördern. Dieses klassische Nachhaltigkeitsdreieck gibt es jedoch in unterschiedlichen Varianten und mit Ergänzungen. Ein Beispiel ist die Berücksichtigung der kulturellen Dimension. Nach Stoltenberg 2010 umfasst die kulturelle Dimension eine Förderung des internationalen Austauschs, ein gesteigertes Konsumentenbewusstsein sowie den Schutz von Traditionen, Bräuchen und Sprache.
Angewandt auf den Tourismus lässt sich sagen, dass dieser nachhaltig ist, wenn Ressourcen und das Klima geschont werden, Denkmäler bewahrt werden, Respekt gegenüber Bräuchen und Traditionen von Einheimischen vorhanden ist und diese nicht in ihrer Lebensqualität eingeschränkt werden. Außerdem sollte der Tourismus trotzdem wirtschaftlich profitabel ist. Es sollte folglich in keiner Weise zu einer Übernutzung kommen. Diese Liste lässt sich natürlich noch um einige Punkte ergänzen.
Insgesamt kann nachhaltiger Tourismus somit zum Erhalt von Kulturerbe beitragen. Es sollte dafür neben der Schaffung eines Austauschs aller Beteiligten auch ein Ausgleich zwischen Schutz und Konsum des Kulturerbes gewährleistet sein. Außerdem müssen Grenzen festgelegt werden, sowohl Toleranzgrenzen der Einheimischen als auch Belastungsgrenzen des Kulturerbes.
Auch, wenn der Begriff Nachhaltigkeit 1972 in der UNESCO-Welterbekonvention noch nicht fällt, ist dies dennoch einer der Grundgedanken der Konvention. Im Großraum Europa nahm die UNESCO schließlich 2007 den Bereich Nachhaltiger Tourismus stark in den Fokus. In der Lübecker Erklärung der Konferenz „UNESCO-Welterbestätten in Europa – Ein Netzwerk für Kulturdialog und Kulturtourismus“ wurde festgehalten, dass Tourismus an Welterbestätten nachhaltig gestaltet werden solle. Ein Punkt war dabei auch die Berücksichtigung der Interessen aller Stakeholder, sowie die Schaffung einer Transparenz der Interessen Einheimischer für Touristen, um den gegenseitigen Respekt zu fördern. Außerdem gibt es mittlerweile ein Programm zum Thema Welterbe und nachhaltiger Tourismus: Das „UNESCO World Heritage and Sustainable Tourism Programme“ ist seit 2013 in der ersten Phase. Ende diesen Jahres wird es eine Bewertung der Schritte geben. Daraufhin wird die zweite Phase von 2016 bis 2018 in ihren Details festgelegt. Ein wesentliches Standbein des Programms ist die Kommunikation sowie die Einbeziehung aller Stakeholder. Das derzeitige Programm umfasst mitunter die Integration der Grundsätze nachhaltigen Tourismus in die Welterbe-Konvention sowie die Stärkung von Strategien des nachhaltigen Tourismus zum Schutz von Kultur- und Naturerbe. Darüber hinaus sollen auch jene Stakeholder gefördert werden, die den Erhalt des Erbes und die Stärkung Einheimischer Gruppen unterstützen.
Nachhaltiger Tourismus in Deutschland
In Deutschland ist das Thema des nachhaltigen Tourismus in Bezug auf Welterbe in den vergangenen Jahren immer wieder deutlich hervorgetreten. SO gab es im Jahr 2012 eine Tagung unter dem Titel „Nachhaltige Nutzung der Welterbestätten im wirtschaftlich, touristischen und öffentlichen Kontext der UNESCO-Welterbestätten Deutschland e.V. Außerdem werden am Welterbetag im Juni stets verschiedene spezielle Vermittlungsaktionen in bzw. an den einzelnen Stätten durchgeführt, die auf Dialog und Austausch zwischen Besuchern und Einheimischen abzielen. 2013 erklärte schließlich die Deutsche Zentrale für Tourismus in Abstimmung mit der Deutschen UNESCO-Kommission und den Welterbestätten Deutschland e.V. das Jahr 2014 unter das Thema „UNESCO-Welterbe – nachhaltiger Kultur- und Naturtourismus“. Es wurden bspw. umfangreiche Informationen auf verschiedenen Plattformen und Medien bereit gestellt, Studienreisen organisiert und Apps entwickelt. Die zentrale Kommunikationsplattform www.germany.travel/unesco liefert die Informationen in 30 Sprachen. Ebenso gibt es Texte, Bilder und Filme sowie weiterführende Links. Es sollte ein gesteigertes Bewusstsein für die Bedeutung der Stätten geschaffen werden. Nachhaltigkeit wurde damit auch durch verstärkte Zusammenarbeit mit lokalen Partnern umgesetzt.
Probleme gibt es allerdings noch genügend. So muss zwischen Welterbe in Industrie- und in Schwellen- oder gar Entwicklungsländern unterschieden werden. Teils fehlen Personen mit entsprechendem Know-How oder es mangelt an der Finanzierung einzelner nachhaltiger Aspekte. Nachhaltiger Tourismus erfordert daher in verschiedenen Gebieten unterschiedliche Ansätze und Schwerpunkte. Ein Ansatz für alle Welterbestätten ist jedoch die Einbeziehung aller Stakeholder, sowie die Rolle bzw. das Verhalten des Touristen gegenüber Einheimischen. So sollte stets ein kulturelles Verständnis sowie nötiger Respekt gegeben sein: Gegenüber Einheimischen, gegenüber Touristen und gegenüber der Welterebstätte. Probleme gibt es dabei natürlich immer wieder. So ist es keine Seltenheit, dass alte Mauern beklettert werden um das perfekte Foto zu erhaschen oder manche ihren Namen im Stein verewigen. Beispiele gibt es hier genügend. Tourismus steht somit immer wieder in der Kritik, kann und darf aber nicht als vollständige Bedrohung des Kuturerbes angesehen werden, sondern kann unter bestimmten Bedingungen sogar den Erhalt desselben befördern.
Zum Nachdenken…
Welterbestätten stellen einen besonders schützenswerten Bestand an Kulturgut dar, der – je höher man in der Rangordnung steht – geradezu sakrale Weihen hat. Gleichzeitig ist es aber auch ein wertvolles „Produktionsmittel“ im touristischen Bereich. Ist es nicht ein Widerspruch, dass das Objekt einerseits schützenswert ist, aber gleichzeitig möglichst vielen Menschen zugänglich sein soll?
Kulturerbe-Tourismus kann positive wirtschaftliche und soziale Auswirkungen haben, bewirkt und fördert Identität. Er muss den Einfluss auf die Gemeinschaften und Regionen, das Erringen wirtschaftlicher und sozialer Vorteile und die Bereitstellung von Mitteln für den Schutz berücksichtigen ebenso wie die Themenbereiche Marketing und Werbung. Allerdings hat er auch negative Auswirkungen vor allem im Bereich der Umwelt, da erhöhte Reisetätigkeit auch erhöhten CO2-Ausstoß mit sich bringt. Tourismus bedeutet immer auch Transport und Erreichbarkeit und zieht infrastrukturelle Maßnahmen wie Straßenbau oder Parkraum nach sich. Steigt somit nicht die Gefahr, dass Kulturerbe mehr und mehr konsumiert wird und die oberflächliche Begutachtung die intensive Auseinandersetzung ersetzt?
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