Deakzession – der Schrecken eines jeden Museums. Dabei meint Entsammeln mehr als das bloße Loswerden von Museumsobjekten. Es ist vor allem nicht mit dem Vorgehen zu vergleichen, wie es in privaten Haushalten abläuft. Doch unabdingbar ist eine vorausgegangene Inventarisierung. Allerdings lässt dieser Schritt oftmals in vielen Museen zu wünschen übrig. Viele Objekte finden zwar den Weg ins Museum, allerdings fehlt den Mitarbeitern die notwendige Zeit, diese sorgfältig zu inventarisieren, sodass diese lediglich im Eingangsbuch vermerkt werden. Deakzession ist also im Allgemeinen die dauerhafte Abgabe von Objekten aus einer bestehenden Sammlung. Dies kann beispielsweise aufgrund eines Verkaufs, Tauschs oder einer Schenkung geschehen.[1] Erstmals wurde der Begriff deaccession 1972 in einem Artikel des Kunstkritikers John Canaday verwendet. Der Artikel erschien in der New York Times und beschäftigte sich mit dem heimlichen Verkauf von Objekten seitens des Museum of Modern Art. Canaday verwendete hierbei den Begriff deaccession als Synonym für sold.[2]
Ein leichtes ist es natürlich, die nicht inventarisierten Objekte zu entsammeln. Denn was nicht im Museum vermerkt ist, kann salopp gesagt unter den Tisch fallen. War es nicht dokumentiert, ausgestellt oder sonst präsent im Museum, so könnte der Eindruck entstehen, der Dekazessionsprozess müsse auch nicht dokumentiert werden. In den vergangen Jahren vollzog sich eine Welle an Museumsneugründungen. Allerdings fand hierbei weder eine Differenzierung noch eine Profilierung statt. Museen ersticken fast an ihren Sammlungen, die sie weder adäquat präsentieren noch entsprechend aufbewahren können. Insofern ist ein – fast sogar der – wichtigste Schritt ein Sammlungsprofil festzulegen und diejenigen Bestände abzugeben, die nicht in dieses Profil passen. Die Diskussion über Sammeln und Entsammeln ist schon lange überflüssig. Während der Staat weniger Geld für Subventionen hat, brauchen Museen immer mehr Räume, in denen sie ihre Sammlungen unterbringen können. Problematisch hierbei ist jedoch, dass weitere Gebäude für Museen auch zusätzliche Kosten mit sich bringen, also Geld für Unterhaltung und Energie. Doch welche Arten des Entsammelns gibt es überhaupt? In Deutschland sind bisher lediglich Empfehlungen und Leitfäden erschienen, die eine Orientierungshilfe bieten. Die bekanntesten hierfür sind wohl die Leitfäden des International Council of Museums (ICOM)[3] sowie des Deutschen Museumsbunds (DMB).[4] Der DMB veröffentlichte Anfang Mai 2010 das Positionspapier „Nachhaltiges Sammeln“: das Ergebnis einer zweijährigen Weiterentwicklung des 2002 erschienenen Papers „Zur Abgabe von Sammlungsgut“. Sowohl DMB als auch ICOM legen den Museen nahe, ihre zu entsammelnden Objekte zunächst an andere Museen zu entleihen. Doch vor der eigentlichen Abgabe der Objekte steht neben der Auswahl der in Frage kommenden Objekte vor allem der formelle Beschluss, diese aus der Sammlung auszusondern. Hierbei kommt es auf die Anzahl an, denn je nach Ausgliederungsumfang ist ein einziger Verantwortlicher oder gar ein zuständiger Personenkreis zu benennen, der den kompletten Entsammlungsprozess plant und somit in allen Phasen betreut sowie dokumentiert, wobei auch die Eigentumsverhältnisse zu überprüfen sind. Somit sind Art und Weise des Erwerbs genauso zu berücksichtigen wie eventuelle Bedingungen, die mit dem Objekt verbunden sind, sowie mögliche Ansprüche Dritter beziehungsweise Vorbehalte der Voreigentümer. Außerdem muss geprüft werden, ob zu dem Sammlungsgut eine mögliche Listung in der Lost Art Internet-Datenbank[5] oder vergleichbaren Dokumentationen zu finden ist. Nach der Erstellung der Vorschlagsliste und der damit verbundenen internen Kontrolle des Vorgangs folgt die externe Einstufung der Entscheidung. Hierfür wird vorgeschlagen, ein unabhängiges Sachverständigergremium aus mindestens drei Personen zu Rate zu ziehen. Dieses sollte aus einem externen Museumsexperten, einem Vertreter aus dem gesellschaftlichen Umkreis des Museums, wie zum Beispiel einem Fördervereinsvorsitzenden, und einem statusgleichen Repräsentanten des Museumsträgers bestehen. Dem Gremium steht es frei, sich weitere unabhängige Expertenmeinungen zur Entscheidungsfindung einzuholen. Die Entscheidung des Sachverständigenrates hat lediglich empfehlenden Charakter. Sind also diese Prüfungen umfassend erfolgt und liegen keine Hinderungsgründe vor, so kann eine Abgabe in Betracht gezogen werden. Wichtig hierbei ist, dass die Objekte in erster Linie an andere Museen abgegeben werden. Erst wenn dies nicht möglich ist, können andere Institutionen oder gar die Veräußerung auf dem freien Markt hinzugezogen werden.[6]
Entsammeln – der Abgabeprozess
Der Abgabeprozess sollte den nachfolgenden Schritten folgen.[7] Unverzichtbar ist die Einhaltung des beschriebenen Verfahren bei werthaltigen Sammlungsgütern, deren Versicherungswert bei über 1.000 Euro liegt. Die ausgesonderten Objekte dürfen stofflich nicht unter dem Aussonderungsprozess leiden, da der konservatorische Auftrag des abgebenden Museums bis zur tatsächlichen Eigentumsübertragung oder Entsorgung erhalten bleibt. Die zu entsammelnden Objekte sollen zunächst anderen Museen und Sammlungen desselben Trägers angeboten werden. Dies gilt auch bei einem beabsichtigten Verkauf, einer Schenkung oder einem Tausch. Erst wenn dort kein Interesse an diesen Objekten besteht, sollen die jeweiligen Landesstellen für Museumswesen beziehungsweise die Museumsvereinigungen auf Länderebene informiert werden. Diese können eine Vermittlerrolle für die sinnvolle Abgabe der Objekte in eine Sammlung im gleichen Bundesland beziehungsweise in der Region übernehmen. Ferner sollen die Objekte in einer nationalen Datenbank, die vom Deutschen Museumsbund e.V. angelegt wird, für sechs Monate veröffentlicht werden, um das Abgabevorhaben anderen Museen bekannt zu machen und damit mögliche Interessenten zu gewinnen. Vorrang haben hierbei vor allem Museen und Sammlungen in öffentlicher Trägerschaft, da das abzugebende Kulturgut Allgemeingut ist. Erst nachdem die Objekte ab dem Tag nach Einstellung in die nationale Datenbank sechs Monate lang erfolglos angeboten worden sind, besteht die Möglichkeit, diese Gegenstände an Dritte, wie beispielsweise private Sammler oder Firmen, zu veräußern.
Das abgebende Museum muss die auszusondernden Exponate möglichst dauerhaft kennzeichnen, das heißt, die Objekte müssen so markiert oder signiert werden, dass auch nach einem langen Zeitraum erkennbar bleibt, woher die Objekte stammen. Gleichzeitig muss am Objekt deutlich ersichtlich sein, dass es aus dem Bestand dieses Museums ausgesondert wurde, da sonst später der Eindruck entstehen kann, das Objekt sei zum Beispiel aus dem Museum gestohlen worden. Die Eigentumsübertragung und die Neuunterbringung in der Abnehmereinrichtung sind lückenlos zu dokumentieren. Objekte, die einer kritischen Sammlungsüberprüfung nicht standgehalten und im Aussonderungsverfahren keinen Abnehmer gefunden haben, werden entsorgt. Hierbei ist besonders zu beachten, dass die Entsorgung vollständig erfolgt. Das heißt, es muss ausgeschlossen werden, dass entsorgte Objekte über Umwege wieder dem Markt zugeführt werden. Der Entsorgungsprozess ist ebenfalls hinreichend zu dokumentieren. Die Abgabeeinrichtung muss in der Lage sein, diesen Vorgang zu jedem Zeitpunkt bis zur tatsächlichen Eigentumsübertragung stoppen zu können. Kriterien für eine Weitergabe an andere Museen sind zum Beispiel eine vergleichbare Sammlung oder eine sinnvolle Erweiterung der bestehenden Sammlung beim Empfänger. Hierzu gehören aber auch bestehende Verbindungen zu Museen oder die dortige Bereitschaft, die ausgegliederten Objekte zu konservieren oder zu restaurieren, um so ihren Erhalt und die Zugänglichkeit für weitere wissenschaftliche Bearbeitungen zu gewährleisten. Dies schließt auch eine ausführliche Inventarisierung beim Empfänger ein.[8]
Gedanken zum Thema Entsammeln
Sammeln und Entsammeln, schön und gut. Doch wie sieht die Umsetzung aus und was spricht dafür oder auch dagegen? Zum einen gibt es da eine mögliche Vermutung unbekannter Zusammenhänge. Zu viele Gegebenheiten rund um das Objekt sind noch unbekannt oder unzureichend bis gar nicht erforscht. Ebenso sollte das Objekt in seinem Zusammenhang als Ganzes gesehen werden, was den ursprünglichen Sammler, die Provenienz und die Zugehörigkeit zur gegenwärtigen Sammlung miteinschließt. Ein weiterer Aspekt des Nicht-Entsammelns ist die Dokumentation der Sammlungsgeschichte. Das Objekt ist schließlich Beleg für einen bestimmten Aspekt der Sammlungsgeschichte. Abzuwägen ist weiterhin, ob die Abgabe als Vertrauensbruch gegenüber den Schenkern gesehen werden kann. Abgabe kann hier dem Glauben schaden, denn der Ruf als „bewahrende Institution“ kann somit in Frage gestellt werden.[9] Die Entscheidung, ein Objekt aus der Sammlung abzugeben, ist schließlich auch eine zeitgeprägte, denn die Abgabeüberlegung kann zu sehr vom momentanen Zeitgeschehen beeinflusst sein. Letztendlich sollte ein jedes Museum auch seine Archivfunktion beachten, denn bei Museen ist auch nicht nur der aktuelle Gebrauchswert eines Objektes ausschlaggebend. Dem gegenüber steht allerdings eine Qualitätsverbesserung der Sammlung, denn das Sammlungsprofil kann durch Reduzierung oder Ersatz durch qualitativ bessere Objekte sogar geschärft werden. Das zu entsammelnde Objekt kann auch eine ungenügende inhaltliche oder ästhetische Qualität im Vergleich zu anderen Objekten der Sammlung aufweisen, weshalb es von Vorteil sein kann, dies abzugeben. Damit einhergehend ist auch eine mögliche Änderung des Sammlungskonzeptes zu erwähnen. Somit passen die Objekte aufgrund der Neuerung oder auch einer Schärfung des Konzeptes nicht mehr in die gegenwärtige Sammlung. Ebenfalls kann es in den Bestand eines anderes Museums besser eingegliedert oder dort idealer bewahrt werden. Denn passt ein Objekt besser in ein Sammlungskonzept, so wird es auch ansprechend präsentiert. Fehlt öffentliches oder gar wissenschaftliches Interesse, so kann dies auch ein berechtigter Grund zur Abgabe sein, denn der Öffentlichkeit sollte der eigene Bestand vermittelt werden, sodass auch eine emotionale Bindung entstehen kann. Allerdings kann es auch sein, dass das Objekt für wissenschaftliche Forschung nicht von Interesse ist und deshalb ausgegliedert wird. Sind die Kenntnisse über das Objekt unvollständig, haben sie beispielsweise keinen Fundort oder sind die Fundzusammenhänge unklar, so kann dies auch für eine Abgabe sprechen. Der mit stärkste Grund ein Objekt auszugliedern ist wohl, wenn dieses defekt ist. Denn weist dieses Objekt irreparable Schäden auf und/oder sind die Reste ohne Aussagewert, fehlt die Aura des Objekts. Es ist somit wenig aussagekräftig und kann pädagogisch nicht vermittelt werden. Damit einhergehend sind auch Gesundheits- und Umweltrisiken, die ein Objekt aufweisen kann. Wird die Gesundheit oder Sicherheit von Mitarbeitern oder Besuchern gefährdet oder wirkt sich dies auch auf den übrigen Bestand aus, so sollte das Objekt entsprechend entsorgt werden. Als Beispiel sei hier das Technische Museum Wien genannt. 2003 begann dort eine Depotinventur, 2014 wurde gemeinsam mit einem Labor eine detaillierte Messung der bis dahin identifizierten radioaktiven Objekte durchgeführt. Zu dieser Gruppe gehören Auer-Gaslicht-Glühbirnen. Bei ihrer Erzeugung wurde Thorium verwendet. Es ist zwar ein schwach radioaktives Element, aber dennoch fallen die Glühbirnen somit unter das Strahlenschutzgesetz. Außerdem wurden zum Befestigen am Träger ebenso Asbestfäden verwendet – ein Material, das heute längst verboten ist. Daher wurde beschlossen, dass diese 17 zwar inventarisierten, aber defekten Birnen nicht mehr unter Denkmalschutz stehen. Als Resultat wurden sie entsorgt.[10]
Im zweiten Teil wird es darum gehen, wie amerikanische Museen ganz anders an das Thema Entsammeln herangehen.
Fußnoten
- [1] vgl. § 233a I (a) New York Education Law; Malaro, Marie C.: Deaccessioning: The American perspective. In: Institute of Art and Law (IAL) (Hrsg): Museum Management and Curatorship 10(3). London. 1991. S. 273-279, hier S. 273
- [2]>vgl. Fincham, Derek: Deaccession of art from the public trust. In: Institute of Art and Law (IAL) (Hrsg): Journal of Art, Antiquity \& Law 16,2. London. 2011. S. 1-37, hier S. 1f.
- [3]vgl. ICOM Österreich (Hrsg): Deakzession – Entsammeln. Ein Leitfaden zur Sammlungsqualifizierung durch Entsammeln. Wien. 2016.
- [4]vgl. Deutscher Museumsbund e.V. (Hrsg): Nachhaltiges Sammeln. Ein Leitfaden zum Sammeln und Abgeben von Museumsgut. Berlin/Leipzig. 2011.
- [5]http://www.lostart.de [Stand: 30.07.2016]
- [6]vgl. Deutscher Museumsbund e.V. (Hrsg): Nachhaltiges Sammeln. Ein Leitfaden zum Sammeln und Abgeben von Museumsgut. Berlin/Leipzig. 2011. S. 37-40.
- [7]Es handelt sich um eine Empfehlung für einen geordneten, der ICOM entsprechenden Ablauf des Aussonderungsprozesses.
- [8]vgl. Deutscher Museumsbund e.V. (Hrsg): Nachhaltiges Sammeln. Ein Leitfaden zum Sammeln und Abgeben von Museumsgut. Berlin/Leipzig. 2011. S. 37-40.
- [9]vgl. Empfehlungen des Museumsverbandes in Mecklenburg-Vorpommern e.V. zur Regulierung der Abgabe von Kulturgut (Entinventarisierung)
- [10]vgl. Lackner, Helmut: Das Objekt ist eine Gefahr für Mensch und Umwelt. In: ICOM Österreich (Hrsg): Deakzession – Entsammeln. Ein Leitfaden zur Sammlungsqualifizierung durch Entsammeln. Wien. 2016. S. 20, hier S. 20
Bildquelle: Krzysztof Pluta (Pixabay)