Die Vatikan-Sammlungen sind in neun Museen untergebracht. Ihre Schätze haben die Päpste in den vergangenen 500 Jahren gesammelt. Allein die griechischen und römischen Statuen füllen dutzende von Galerien. Darunter sind auch viele Aktfiguren, wie zum Beispiel der berühmte Apollo von Belvedere. Es ist eines der ersten Stücke der Sammlung, die Papst Julius ins Leben rief. Offensichtlich hatte dieser Papst kein Problem damit den antiken Gott in voller Pracht zu zeigen. Er wollte den Idealen der griechischen Klassik wieder Geltung verschaffen. Nacktheit, Männerkörper, die idealisierte Darstellung von Menschen – das war schließlich das Leitmotiv der Renaissance. Nicht nur die Antikensammlung verherrlichte die Schönheit menschlicher Körper, sondern auch die Neuere Kunst, die der Papst zu Beginn des 16. Jahrhunderts in Auftrag gab. Michelangelos Malereien der Sixtiner zeigt Nacktheit in verschwenderischer Fülle.
Betrachtet man die Darstellung von Adam und Eva, wird eine auffällige Nähe von Evas Gesicht zu Adams Genitalien deutlich. Würde sie ihren Kopf zur anderen Seite drehen, wäre eine sehr spezielle Frucht der verbotenen Erkenntnis ihrem Mund nahe. Nacktheit und Kunst gingen eine harmonische Verbindung ein. Doch schon wenige Jahre später Übermalung das Gebot der Stunde. 20 Jahre, nachdem er die Deckengestaltung beendet hatte, malte Michelangelo die Altarwand der Sixtinischen Kapelle aus. Das Jüngste Gericht rief schon vor der Fertigstellung Kritik hervor. Der Zeremonienmeister der Papstes beschwerte sich über die vielen Nackten. Er fand, das Bild passe besser in ein Bordell oder ein Badehaus. Michelangelo reagierte darauf, indem er seinen Kritiker in die Hölle versetzte: Er malte ihn als einen der Richter in der Unterwelt und verewigt ihn mit Eselsohren. Heute ist vieles, das einmal nackt war, sorgfältig übermalt – jedoch nicht von Michelangelo! Der Sittenrichter war ein neuer Papst, seine Heiligkeit Papst Pius V. Diesen störten all die Nackten im Papstpalast sehr, er wollte ihren Anblick nicht länger ertragen. Es ging ihm dabei auch um den Fortbestand des Katholizismus. Die Zeiten hatten sich geändert, die Reformation gewann immer mehr Anhänger. Schlichtheit war für die Kirche angemessener und manches nicht mehr akzeptabel. Die offizielle Richtlinie war nun keine unbedeckten Geschlechtsteile mehr in der Kunst zu zeigen. Es existiert sogar das Gerücht, im Vatikan existiere eine Schublade voller Penisse, die einst ein wütender Papst an Figuren abgeschlagen hatte – was wahrscheinlich nicht der Wahrheit entspricht. Die Päpste sind zwar wohl nicht so weit gegangen, ihre Skulpturen zu kastrieren, doch sie haben diese bedecken lassen. Die Bibel wurde schließlich zu Rate gezogen, in der sich die Lösung fand: Als Adam und Eva die verbotene Frucht gegessen hatten, bedeckten sie sich mit Feigenblättern. Das Nacktheitsverbot für die Vatikanskunst bezeichnet man deshalb auch als Feigenblattaktion. Hunderte antiker Statuen wurden mit geschickt platziertem Blattwerk versehen. Ein absolutes Muss waren also von nun an die Feigenblätter oder drapierte Stoffe. Es wurde normal, dass Nacktheit nicht mehr akzeptabel war. Eines der ersten von der Feigenblattakt betroffenen Werke war Michelangelos Jüngstes Gericht. Bald nach dem Tod des Malers ließ der Papst das aufreizende Fleisch bedecken. Um die antiken Statuen wieder in ihren ursprünglichen Zustand zu versetzen, wäre ein mutiger Papst nötig. Er könnte die Feigenblätter entfernen lassen und diesen bedeutenden Kunstwerken ihre einstige Schönheit zurückgeben.
Bildquelle: Waldo Miguez (Pixabay)