Das Bucerius Kunst Forum in Hamburg zeigt noch bis zum 1. Mai die Sonderausstellung „Paula Modersohn-Becker. Der Weg in die Moderne„. Diese Einzelausstellung mit Retrospektivcharakter zeigt rund 80 Werke der Künstlerin, die für die kurze aktive Zeitspanne von knapp zehn Jahren eine vergleichsweise große stilistische Bandbreite aufweist. Das Bucerius Kunst Forum versteht sich als „Forum für alle Künste“, das laut eigenem Mission Statement mit einem „hochkarätigen Ausstellungs- und Veranstaltungsprogramm […] Denkanstöße und Orientierungshilfen für die Diskussion großer gesellschaftlicher Themen“ liefern möchte. Es will also all das leisten, was der gesellschaftliche Auftrag einer Institution wie einem Museum entspricht und dem es im Idealfall auch nachkommt. Das Ausstellungshaus ohne eigene Sammlung bestückt seine Räumlichkeiten drei- bis viermal im Jahr neu.
Modersohn-Becker: Zwischen Im- und Expressionismus
Paula Modersohn-Becker (1876-1907) studierte 1897-98 Malerei zuerst bei Jeanne Bauck und dann in Berlin. Sie übersiedelte in diesem Jahr nach Worpswede. 1895 hatte sie in der Bremer Kunsthalle schon einmal eine Ausstellung der dortigen Künstler*innen gesehen. Von Januar bis Juli hielt sich Paula Becker in Paris auf, wo sie an der privaten Akademie Colarossi studierte. Sie entdeckte in Paris Gemälde Paul Cézannes, die sie stark beeindruckten. 1901 heiratete sie den Malerkollegen Otto Modersohn. Nachdem sich die Künstlerin zuerst fast ausschließlich mit Landschaften beschäftigte (1901) wendete sich ihr Blick bald darauf auf Figurengruppen (1902). 1903 war sie erneut in Paris und nahm an Aktzeichnenkursen teil. Zwischen der zweiten und dritten Parisreise 1905 setzt sich Paula Modersohn-Becker kritisch mit ihrem bisherigen Werk auseinander und begab sich auf die Suche nach neuen Bildformen, infolgedessen zogt sie sich von ihren Worpsweder Kolleg*innen zurück. Im Jahr 1906 ist Paula Modersohn-Becker ein weiteres Mal in Paris und nimmt an Anatomie und Aktkursen teil. Sie will sich zu dieser Zeit von ihrem Mann trennen. 1907, kurz vor ihrer Rückreise nach Worpswede sieht die Künstlerin noch die Cézanne Sammlung von Pellerin in Paris. Zweieinhalb Wochen nach der Geburt ihrer Tochter Mathilde stirbt Paula Modersohn-Becker am 20. November 1907 an einer Embolie. Die Künstlerin Paula Modersohn-Becker war beeindruckt von den im Paris ihrer Zeit modernsten Künstlern, wie Cézanne, Matisse und Gaugin, was sich auch deutlich in ihren Werken niederschlug. Sie versuchte in ihren Gemälden eine vereinfachte, allgemeingültige Formensprache, ohne schmückende Details, jenseits von Individualität zu entwickeln. Sie entfremdete, teils bis zum Maskenhaften. Die Künstlerin ist somit Teil einer experimentierfreudigen Generation mit unterschiedlichem künstlerischem Ausdruck, zwischen den beiden prägenden Stilphasen des (Spät-)Impressionismus und dem Expressionismus, auch mit stilistischen Schritten in Richtung Kubismus. In ihren Werken verband sie ihren Eindrücken aus Paris mit Motive aus ihrer Heimat, die jedoch von romantierenden und gerne Elementen befreit waren. So entstand ihr eigener avantgardistische Charakter in den Gemälden.
In der Ausstellung zur Künstlerin Paula Modersohn-Becker werden knapp 80 ihrer Werke, darunter 60 Gemälde, auf einer Fläche von rund 650 Quadratmetern gezeigt. Kuratiert wurde sie von Prof. Dr. Uwe M. Schneede und Dr. Kathrin Baumstark. „Es galt, Paula Modersohn-Beckers exemplarischen Weg in die Moderne durch die Fokussierung auf ihre Bildmittel und Bildmethoden erlebbar zu machen“ – so heißt es im Begleitkatalog zum Fokus der Ausstellung. Somit untersucht die Ausstellung das Werk der Künstlerin, nicht in erster Linie unter feministischen Fragestellungen, sondern wegen der beispielhafen Form des Werks. Ihre Gemälde befinden sich zwischen zwei Generationen: den Spätimpressionisten und den langsam nach vorne drängenden Expressionisten.
Verschiedene Blickwinkel in die Ausstellung, © Ulrich Perrey
Architekturbedingt ist die Ausstellung in zwei Teile geteilt. Sie beginnt im Erdgeschoss völlig unvermittelt ohne Einführung, direkt mit Gemälden. Fünf Landschaftsgemälde, in denen sie in nahezu revolutionärer Weise einzelne Birkenstämme ins Zentrum rückt, bilden den Auftakt in dieser Ausstellung. Sowohl in diesen Landschaftsdarstellungen, aber besonders auch in den Kinderportraits experimentiert die Künstlerin mit Farbauftrag, Duktus und Farboberfläche, so rauht sie beispielsweise die Farbe im Bereich des Gesichts mithilfe des Pinselschaftes zusätzlich auf. Dadurch erzeugt sie einen deutlichen Kontrast, zwischen der stark reliefierten Farboberfläche und der eigentlich glatten Kinderhaut. Die Werke werden, einer solchen Ausstellung der Hochkunst entsprechend, neutral und in Themengruppen, wie beispielsweise Kinder, Worpswede, Selbstbildnisse oder Späte Zeichnungen, zusammenfasst präsentiert. Diese Gruppen werden immer von einem kurzen und prägnanten Text bestehend aus wenigen Sätzen begleitet und eingeleitet. Der deutlich größere Ausstellungsraum im Erdgeschoss und der Raum im Obergeschoss sind in einem hellen grau gehalten und bieten so einen neutralen, reinen Hintergrund für die teils sehr farbkräftigen und starken Gemälde die überwiegend gezeigt werden. Der Teil der einer Einführung entspricht, im konkreten Fall eine Kurzbiographie und einige Zitate der Künstlerin, findet sich erst vor dem Ausstellungsraum im Obergeschoss, wo auch Tische mit dem Katalog zur Ausstellung aufgestellt sind. In einem Nebenraum ist ein Film zu Paula Modersohn-Becker zu sehen. Dem im Katalog erklärten Ziel der Ausstellung „zu einem neuen Blick auf das Besondere und Herausragende der Kunst von Paula Modersohn-Becker […] [und] die Fügung zu Werkreihen das Methodische dieser Kunst anschaulich gemacht werden“ wird Rechnung getragen. Es wird dies jedoch nicht in den Texten selbst explizit deutlich gemacht, ebenso wenig wie die vielen Stilistischen Bezüge zu Pariser Künstlerkollegen ihrer Zeit, es wird den Besucher*innen überlassen dies zu erkennen.
Der von Franz Wilhelm Kaiser, Kathrin Baumstark und Uwe M. Schneede herausgegebene Katalog kann in der Ausstellung für 29 Euro im Buchhandel für 39,90 Euro erworben werden und bietet die Möglichkeit sich über die Ausstellung hinaus in das Werk Paula Modersohn-Beckers zu vertiefen. Darüber hinaus hält das Bucerius Kunst Forum auch ein umfangreiches Begleitprogramm zur Ausstellung bereit.
Infobox
Bucerius Kunst Forum gGmbH
Rathausmarkt 2
20095 Hamburg
Öffnungszeiten: täglich von 11 bis 19 Uhr, donnerstags bis 21 Uhr geöffnet
Bildquelle: Ulrich Perrey, Bucerius Kunst Forum
[…] Das Bucerius Kunst Forum in Hamburg zeigt noch bis zum 1. Mai die Sonderausstellung „Paula Modersohn-Becker. Der Weg in die Moderne„. Ein Bericht zur Ausstellung findet sich auf dem Blog „museumswissenschaft“: http://museumswissenschaft.de/paula-modersohn-becker-im-bucerius-kunst-forum/ […]