Rom war einst ein politisches und religiöses Machtzentrum. Im Herzen der Stadt liegt ein Museum voller dunkler Geschichten, Zeugen von unmenschlichen Gewalttaten, der Feindschaft zweier Männer und unglaublichen Fällen von Zensur. Man kann Botschaften aus der Vergangenheit entdecken, die dunkle Kapitel der Geschichte enthüllen. All diese Geheimnisse sind offen ausgestellt: im Vatikanischen Museum.
Inmitten der Stadt Rom liegt der Vatikan – das Zentrum des Katholizismus. Der Vatikan ist sowohl ein von Mauern umgebener Stadtstaat als auch der Sitz des Papstes. Innerhalb dieser Mauern steht ein unvergleichliches Museum voller zeitloser Kunstschätze. Jeder einzelne davon hat seine eigene Geschichte. Doch kein anderer Schatz ist so bekannt wie die berühmte Sixtinische Kapelle. Jeder, der den Raum betritt, blickt hinauf zur Decke, zu den Fresken Michelangelos, mit ihren wunderbar leuchtenden Farben. Doch nur wenige wissen, dass dieses Meisterwerk nicht zur ursprünglichen Ausstattung gehört. Als die Kapelle errichtet wurde, waren an den Wänden monumentale Gemälde zu sehen. Doch für die Decke musste ein Himmel voller Sterne genügen. Ab 1508 ließ Papst Julius II. die Decke neu ausgestalten. Mit dieser Aufgabe betraute er Michelangelo, obwohl der Künstler zu dieser Zeit als Maler noch nicht viel galt. Er war vielmehr bekannt als außerordentlich geschickter Bildhauer. Für die Ausmalung des über 800m² großen Deckengewölbes benötigte Michelangelo lediglich vier Jahre. Wie gelang es aber dem bislang Fresko unerfahrenen Künstler eine derart riesige Fläche in so kurzer Zeit auszumalen? Ein Restaurationsprojekt in den 1980er Jahren bat die Möglichkeit dieses Geheimnis zu lüften. Neun Jahre benötigten die Restauratoren für die Bereinigung der Decke – das doppelte der Zeit, die Michelangelo brauchte, um sie auszumalen. Die Restauratoren konnten Michelangelos Arbeit berühren, was ihnen half seine Arbeitsweise zu verstehen.
In der Freskomalerei gibt es aufeinander folgende Arbeitsschritte, die aber aus großer Entfernung nicht erkennbar sind. Doch die Restauratoren waren ganz nah dran und konnten so deutlich erkennen, wie Michelangelo gearbeitet hat. Die größten Figuren an der Decke ziehen sich über eine Länge von sechs Metern. Doch Michelangelo hat sie nicht aus freier Hand gemalt: Für jede Figur fertigte er eine Skizze an. Den darauf folgenden Arbeitsschritt bezeichnen Fachleute als Punzieren. Dadurch wird der Entwurf auf den Verputz übertragen. In die Skizze werden Löcher gestochen, Holzkohle wird in ein Stück Stoff gewickelt, womit man schließlich auf den Entwurf klopft. Doch das Punzieren war ein aufwendiges Verfahren. Michelangelo stand unter dem Druck, sein Werk noch zu Lebzeiten des alternden Papstes zu vollenden. Um also schneller voranzukommen, benutzte Michelangelo statt Holzkohle ein Messer und ritzte so die Linien direkt in den Verputz ein. Bei günstigem Licht sind sogar die Markierungen überall an der Decke zu sehen. Für Michelangelo war es ratsam, die Wünsche des Papstes zu erfüllen, denn ein Papst war damals sehr mächtig. Michelangelo respektierte den Papst, der sogar Kriege führte. Doch einschüchtern ließ sich Michelangelo nicht. Es scheint, als seien sowohl der Papst als auch Michelangelo größenwahnsinnig gewesen. So war es kein Wunder, dass es zwischen den beiden Titanen zum Streit kam, denn der Papst fragte ständig nach, wann das Gemälde endlich fertig sei. Michelangelo antwortete jedoch lediglich darauf „Dann, wenn es fertig ist.“ 18 Stunden täglich, sieben Tage die Woche stand Michelangelo auf dem Gerüst, verrenkte sich den Nacken und in die Augen tropfte ihm Farbe.
Vatikan: Aufbruch nach Pandora
Michelangelo hat wirklich gelitten für die Kunst. Dieses Leiden beschrieb er ihm vierten Jahr seiner Arbeit: „In diesem Elend wuchs mir schon ein Kropf […] Der Bart steht himmelan, es wächst der Schopf am Buckel fest.“ Allen Schwierigkeiten zum Trotz setzt Michelangelo seine Arbeit fort. Doch diese Ausdauer allein erklärt nicht, wie er an der Decke Figuren schaffen konnte, die von unten betrachtet perspektivisch perfekt sind. Vielleicht deshalb, weil er zu Beginn seiner Laufzeit Bildhauer war? Er stellte sich die Figuren dreidimensional vor und erzeugte so diese wunderbare Perspektive. Viele Besucher der Sixtinischen Kapelle fragen sich, ob diese Figuren nicht sogar tatsächlich aus der Decke heraus ragen und ob dies 3D ist. Unbemalt macht die Decke Michelangelos überragende Fähigkeit in der Perspektivmalerei noch deutlicher. Seine Fresken schaffen eine Illusion von Raum. Die Figuren wirken dreidimensional – selbst auf Hintergrundflächen, die sich in die falsche Richtung neigen. Jona ist auf eine nach vorn gebeugte Fläche gemalt, dennoch wirkt es als lehnte er sich nach hinten. Das sollte jene Kritiker widerlegen, die gesagt haben, er verstehe nichts von Malerei. In seinen Bildern gelten scheinbar keine Naturgesetze, ähnlich wie in dem Film „Avatar“. Doch wie gelang es ihm, sein Meisterwerk in nur vier Jahren zu vollenden? Seine Willenskraft, körperliche Ausdauer und das Können in der dreidimensionalen Malerei waren unerlässlich. Dazu kommt wohl das wichtigste Element: Michelangelo war ein Genie! Er trug dazu bei, die Stellung eines Künstlers zu verbessern, weil er eigene Kriterien durchsetzte. Morgens, wenn die Tore sich öffnen, strömen Tausende direkt zur Sixtinischen Kapelle, um nur einen Augenblick an dem Ort zu verweilen, an dem sich göttliche Macht und menschliche Genialität vereinen!
Dies ist der erste Teil der Reihe Hidden Highlights der Vatikanischen Museen. In den nächsten Wochen werden weitere spannende Themen behandelt.
Bildquelle: Waldo Miguez (Pixabay)