Der kanadische Fotokünstler Rodney Graham zeigt noch bis zum 26. November seine geistreichen Maskeraden im Frieder Burda Museum in Baden-Baden. Es scheint, als hätte er mehr Sinn als schlichte Metaphern, denn bei seinen Werken habe er daran gedacht, wie Picasso Zeitungen in seiner Kunst einsetze. Aber auch afrikanische Masken seien ihm durch den Kopf gegangen, ebenso wie Marcel Duchamps letzte Arbeit „Étant donnés“, eine Installation, die durch zwei Gucklöcher in einer alten Tür Aussicht auf ein nacktes Mädchen vor einer Landschaft mit Wasserfall gewährt.
Die Ausstellung beginnt mit dem „Newspaper Man“. Ein gut gewählter Auftakt, denn der Stifter und Namensgeber des Museums stammt aus einem Druck- und Verlagsimperium. Doch der „Newspaper Man“ entspricht so gar nicht den Idealen der Verlegervorstellungen vom Wunschleser: Der Mann sitzt auf einer Parkbank hinter einer sehr alten Ausgabe des „Victoria Daily Standard“. Auf den ersten Blick ist dies nicht ungewöhnlich. Der Mann scheint zu lesen. Doch bei genauerem Betrachten erkennt man, dass er nicht liest, sondern wie ein Spion durch zwei ins Blatt geschnittene Löcher guckt. Wie ist dies zu verstehen? Ist es als Durchblick der Journalisten und Leser zu verstehen, als Reflexion zu fungieren, wer noch wie lange die Druckversion der Zeitungen liest? Oder ist es eine Illustration des Spruchs „Nichts ist so alt wie die Zeitung von gestern“? Als Pendant zu Duchamps Werk lässt auch Graham hier hinter dem „Newspaper Man“ in sattgrüner Vegetation Wasser einen Stein hinabfließen. Der „Newspaper Man“ steht also mitten im System von Anspielung, Appropriation, Verweis, Zitat, das Grahams vielgestaltiges Œuvre speist, bis hinein in die Art der Präsentation: Der Leuchtkasten etwa gilt schließlich als Markenzeichen von Jeff Wall.
Rodney Graham hat sich sechzehn-fach mitgebracht. Alles Selbstinszenierungen. Alles er. Graham gilt als Chamäleon der Leuchtkastenmetamorphosen. Er ist der meistgefragte und sogar meistgesuchte Künstler Kanadas. Duchamps hat ihn mit seinem Wanted-Poster inspiriert. Gerade dieser versteckte Humor bei Graham fesselt einen. Die Witze sind offensichtlich – eine Art dummer Scherz, so Graham selbst. Er erarbeitete sich in seinen 68 Lebensjahren den Ruf der Buster Keaten der Konzeptfotografie zu sein, weil seine Selbstinszenierungen alle so heiter-melancholisch sind. Jede Inszenierung baute er minutiös in seinem Studio auf.
Zu sehen ist beispielsweise wie ein Schlagzeuger mal eben mitten im Konzert ganz selbst vergessen sein Abendessen verzehrt. Der Besucher wird Zeuge einer künstlerischen Erweckung: Ein Mann im Schlafanzug mit Zigarette im Mund übt sich im Drip Painting (Titelbild). Es vermittelt den Eindruck, dass diese Art der Arbeit gar nicht so schwer sein kann. Graham selbst hatte hierbei die Geschichte eines berufstätigen Mann im Kopf, der in einer späten Midlife-Crisis steckt.
Mit Rodney Graham wird frischer Wind ins Museum gebracht. Frieder Burda selbst hatte vor allem ein Sammlungs- und Ausstellungskonzept: Kunst muss schön sein. Es ist faszinierend, wie man von einem Bild direkt ins nächste eindringt. Es ist ein Zusammenspiel von Linien und Verweisen, von einem zum anderen Bild – immer weiter und auch mal wieder zurück zum letzten Bild. Betrachtet man Grahams Werke, entstehen sofort Filme im Kopf. Man taucht ein. So wird auch ein vollgetopfter Antiquitätenladen gezeigt, Kunst und Kunstgewerbliches im Dämmerlicht. Und immer wieder ist Graham selbst mit dabei, hier in der Rolle des Ladenbesitzers.
Seine Kunst ist packend. Irgendetwas passiert hier auf emotionaler Ebene. Das spannende bei Graham ist, dass man auf den ersten Blick lacht. So zeigt einer der Leuchtkästen einen Koch. Scheinbar hat er auf alles keine Lust. Er sitzt gelangweilt im Grünen, hält eine Zigarette in der Hand. Ein Handwerker steht herrlich absurd auf seinen selbstgebauten Stelzen. Der Leuchtturmwärter wärmt sich die Füße am offenen Ofen. Und dann schlägt er plötzlich zu: Der Ernst hinter dem Humor. Auch das Gefängnis von Abu Ghraib spielt eine Rolle. Die Kultur der Gewalt, die auch aus amerikanischen Filmen bekannt sind und die Leute oftmals zum Lachen bringen.
Die Ausstellung ist jedenfalls nichts für eingefleischte Nichtraucher, denn auf fast jedem Bild schmückt eine Zigarette Grahams Hand, der Rauch scheint durch den Raum zu strömen. Insgesamt ist es eine tolle Ausstellung, sofern man selbst genug Energie hineinsteckt, um sich über den Künstler und seine Werke zu informieren. Lediglich ein Audio-Guide steht den Besuchern zur Verfügung. Typisch für klassische Kunstmuseen: Kein Objekttext. Lediglich Abteilungstexte sind zu finden, die den Besucher an die Hand nehmen und versuchen die Werke einzuordnen und zu verstehen. Als Schmankerl haben sich die Ausstellungsmacher noch etwas Besonderes ausgedacht: Der Besucher selbst kann in Grahams Rolle schlüpfen. Im Untergeschoss besteht die Möglichkeit, sich zu verkleiden und genau wie Graham sich selbst zu inszenieren. Das entstandene Foto darf man sogar mitnehmen.
Bildquelle: Marisa Schiele
Dieser Artikel wurde durch die Unterstützung von Karl Lorey ermöglicht. Sie möchten auch unsere Arbeit unterstützen oder wünschen sich eine spezielle Ausstellungsbesprechung? Nehmen Sie gerne Kontakt mit uns auf!