Zwischen Wunschbild und Realität im Zeppelin Museum
„Some Things Happen All at Once” heißt eine derzeitige Sonderausstellung im Zeppelin Museum Friedrichshafen. Die Ausstellung ist noch bis 3. April 2016 zu sehen.
Über das Ausmaß des Universums ist weit mehr bekannt als über die Tiefen des Ozeans – zumindest wird darüber mehr gesprochen. Hierbei geht leider unter, dass der Meeresgrund mit Abfällen übersät ist, die allesamt von der Bevölkerung stammen. An diesem Punkt setzt die Künstlerin Mariele Neudecker an. Sie analysiert diesen kontroversen Umstand.
Das Zeppelin Museum präsentiert nun ihre erste museale Ausstellung in Deutschland. Auf 1.000 Quadratmetern sind Videos zu sehen, welche die Tiefen des Ozeans zeigen. Videos zeigen eine Tiefseeexpedition am Meeresgrund, begleitet von Musik. Hier sucht ein Roboter den Boden ab und wirbelt dabei Staub auf. Immer wieder kommen auch abgerissene Kabel- und Drahtstücke zum Vorschein. Aber auch naturgetreue Nachbildungen aus Kunstharz von Baumstämmen und Gebirgsmassiven, die in Aquarien dargestellt sind, werden präsentiert. Neudecker schult den kritischen Blick auf den Umgang mit der Natur: was ist noch Realität und was wurde von Menschen verschandelt. Als Symbol für die Natur gelten hier detailverliebte Plastikbäume, die aber an der Wurzel nicht in den Waldboden übergehen, sondern zu grauen Sockeln werden. Der künstliche Baum fungiert hier wie ein Denkmal, errichtet zum Gedenken an den früheren Wald. Neudecker räumt so mit Vorurteilen à la „Früher war alles besser“ auf – sie zeigt Parallelen auf: Die Natur wurde erst thematisiert, als sie durch die Industrialisierung zu schwinden drohte. Gegenwärtig werden Naturdokumentationen aufgrund von gerodeten Bäumen im Regenwald gedreht, die scheinbar unberührte Teile der Erde zeigen.
Inszenierte Natur
Mitten in der Ausstellung steht ein effektvoller Eisberg, der sich über vier Meter erstreckt. Am Ende zerbricht er auseinander, die Brocken liegen auf dem Boden. Dahinter befinden sich Bildschirme, die über abgebrochene Eisstücke zeigen, die über das Meer treiben. Der Eisberg, aus Fiberglas und Sperrholz gefertigt, symbolisiert den permanenten Konflikt zwischen individuellen Alltagsproblemen und gemeinsamen Aufgaben.
Neudecker baut ebenso Eisflächen der Antarkties nach – als Highlight ist hier das darin eingeschlossene Expeditionsschiff zu nennen. Dieses Schiff ist allerdings nicht im Eis eingeschlossen, sondern um das Schiff herum ist ein Quadrat ausgeschnitten, wodurch die unter dem künstlichen Eis liegende Sperrholzkonstruktion sichtbar wird. Daneben scheinen Eisstücke zu liegen, die mit blauroter Farbe versehen sind. Diese Installation namens „After life“ wirkt wie der absolute Gegenpol zu romantischen Gemälden zu sein, wie beispielsweise das „Eismeer“ von Caspar David Friedrich. Gekonnt wird diese vermeintliche Originalität in Szene gesetzt, die jedoch reine Imitation ist. Die Kunst scheint Symbol für die Sehnsucht nach romantischen Naturerlebnissen zu sein, wobei diese über eine bloße Szenerie nicht hinauskommen. Diese Wirkung schafft Neudecker ebenso in ihren Dioramen: scheinbar schneebedeckte Gebirge in durchsichtigen Wassertanks. Fast ehrwürdig schaut man die Gebirgsspitzen an – der Kontrast bleibt dennoch nicht verborgen, denn auf ihnen sind Sendemaste angebracht. Es scheint ebenso ein Nebel die Gebirge zu umhüllen, der allerdings konträr aus Chemikalien besteht.
Aufzeigen statt Belehren
Neudecker wagt aber noch einen Schritt weiter und nimmt den Besucher auf eine Entdeckungsreise der eigenen Wahrnehmung mit. Analog zur Abbildung der Welt auf unsere Netzhaut, sind in der Ausstellung Glaskugeln vorhanden, welche die Augen wiederspiegeln. Darin sind spiegelverkehrt Berge angebracht, deren Gipfel kopfüber in Richtung der Erde ragen. Neudecker führt dem Besucher vor allem eins vor Augen: Die gern gesehene romantische Naturvorstellung hat kaum etwas mit der Realität gemein. Es wird verdeutlicht, dass jeder Mensch die Welt auf seine eigene Art interpretieren und so (s)ein neues Weltbild erschaffen kann.
Infobox
Zeppelin Museum Friedrichshafen GmbH
Seestraße 22
88045 Friedrichshafen
Öffnungszeiten November – April
Di – So: 10 – 17 Uhr
Einlass bis 16.30 Uhr
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Bildquelle: Pseudonym „Unsplash“ (Pixabay)