Über 75 Jahre nach dem Beginn der systematischen Tötung von geistig und körperlich behinderten Menschen erinnert die Ausstellung „Im Gedenken der Kinder – Die Kinderärzte und die Verbrechen an Kindern in der NS-Zeit“ an das dunkle Kapitel der „Kinder-Euthanasie“ während der Zeit des Nationalsozialismus. Es betraf über 200.000 kranke, behinderte und sozial nicht angepasste Menschen, unter ihnen etwa 10.000 Kinder und Jugendliche. Ambitionierte Kinderärzte mit Forscherdrang, hoher Qualifikation aber auch großem Ehrgeiz waren die Scharfrichter der Kinder und Jugendlichen. Sie ließen sie verhungern, mit Kohlenmonoxid vergiften oder injizierten ihnen Gift. An diese Kinder erinnert die Wanderausstellung, die im Oberen Foyer des Rathauses bis Freitag, 16. Dezember 2016 zu sehen ist.
Im Gedenken der Kinder: Zu den Verbrechen
Hans-Michael Straßburg war von 1991 bis 2011 Professor für Kinder- und Jugendmedizin an der Würzburger Universitätskinderklinik. Er ist Gründer und ärztlicher Leiter des Sozialpädiatrischen Zentrums „Frühdiagnosezentrum“ sowie Mitglied der Historischen Kommission der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin. In dieser Funktion hat er die Geschichte der deutschen Kinderärzte als verlängerte Arme des nationalsozialistischen Regimes mit aufgerollt. Bei der Eröffnung der Ausstellung am 29. November 2016 berichtete er von den Hintergründen des grausamen Mordens unter der Leitung des Arztes Werner Heyde. Er berichtete aber auch davon, dass noch während seiner Ausbildung zum Kinderarzt in den 1960er-Jahren noch praktizierende Kinderärzte erklärten, schwerbehinderte Kinder müssten getötet werden.
Trotz 70 Jahre Abstand ist sich die Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin ihrer Verantwortung bewusst und hat das dunkle Kapitel ihrer Geschichte konsequent aufbereitet. Sie konzipierte auf Basis ihrer Erkenntnisse die Ausstellung, die bereits seit 2010 durch Deutschland wandert. „Auch die moderne Kindermedizin steht vor erheblichen ethischen Problemen, beispielsweise bei der Pränatalmedizin“, führte Professor Straßburg dazu aus. „Die Beschäftigung damit, wie es zu solchen Exzessen kommen konnte, kann helfen moralische Grundsätze zu finden – auch wenn die Tötung der Kinder damals vom Staat angeordnet war.“
Begleitheft in leicht verständlicher Sprache
Das Besondere an der Würzburger Station der Ausstellung ist ein Begleitheft in leicht verständlicher Sprache. Unter Leitung von Simone Doll-Gerstendörfer entwickelten Studierende der Museologie und Museumswissenschaft (Julius-Maximilians-Universität Würzburg) dieses Begleitheft. Vorgestellt wurde es von den Seminarteilnehmern Willy Glahn, Sebastian Fischer und Marisa Schiele. Das Begleitprogramm wurde gemeinsam mit Schülern der Würzburger Christophorus Schule erarbeitet. Es vermittelt die Ausstellungsinhalte in leicht verständlicher Sprache und ist somit für Menschen mit kognitiven Einschränkungen sowie Besucherinnen und Besuchern mit Einschränkungen im Verständnis der deutschen Sprache gedacht, um ihnen die Inhalte zugänglich zu machen. Dies ist ein wichtiger Schritt in der inklusiven Museumspädagogik, denn oftmals werden Ausstellungstexte lediglich in schwerer Sprache vermittelt. Ab dem 10. Januar 2017 wird die Ausstellung in Saarbrücken zu sehen sein.
Infobox
Rathaus Würzburg
Oberes Foyer
Rückermainstraße 2
97070 Würzburg
Öffnungszeiten: Mo – Do: 8.00 bis 18.00 Uhr, Fr: 8.00 bis 14.00 Uhr, Sa/So geschlossen