St. Petersburg – eine Stadt mit einer großen politischen Vergangenheit. Und einem Museum voller Geheimnisse. Die Eremitage ist Nummer Eins der Touristikattraktionen von St. Petersburg. Es handelt sich um einen ganzen Komplex aus fünf Gebäuden mit über 400 Räumlichkeiten bis hin zu zahlreichen großen Sälen. Ab 1711 erbaut beherbergte der Schlosskomplex neben dem Zentrum der Zarenmacht schon seit Katharina der Goßen eine Sammlung bekannter Kunstwerke holländischer und flämischer Meister. Zum Zeitpunkt ihres Todes besaß die leidenschaftliche Sammlerin den größten Kunstschatz Europas. Öffentlich zugänglich wurde die im Laufe der Jahrhunderte immer weiter wachsende Sammlung des Palastes nicht erst unter den Bolschewiki, sondern bereits unter Zar Nikolaus I. im 19. Jahrhundert. Die Eremitage an der Newa ist heute das größte Kunstmuseum weltweit. Etwa drei Millionen Menschen besuchen den Zarenpalast pro Jahr.
Zar Peter der Große lädt zum Selfie ein
Neben all den Kunstschätzen gibt es weitere Sammlungshightlights. Unter anderem mit einer Statue Peter des Großen. In St. Petersburg, der Stadt die seinen Namen trägt, ist er immer noch lebendig – vor allem in den Herzen der Menschen. Er war ein Mann mit großen Visionen, die er fast alle verwirklichte. Vor über 300 Jahren erschuf Zar Peter der Erste auf sumpfigem Untergrund im Niemandsland eine monumentale Residenzstadt aus Granit. Seine Vision kosteten jedoch zahllosen Menschen das Leben. St. Petersburg ist allerdings nicht aus Stein erbaut, sondern aus Knochen. Aus den Knochen jeder, die während der Bauzeit umkamen. Unter Russlands Bauern galt Peter deshalb als Sohn des Teufels oder gar als der Antichrist selbst. War der Stadtgründer also Peter der Große oder Peter der Schreckliche? Am dritten Tag nach seinem Tot machte der Hofarchitekt Abdrücke von seinem Kopf und erschuf eine Wachsfigur, die noch heute in der Eremitage zu sehen ist. Einer Legende zufolge soll sich Peter nachts von seinem Stuhl erheben und im Museum umherwandeln. Es wirkt als sei die Wachsfigur lebendig. Als würde sich ihr Gesicht bewegen, vor allem die Augen. Die Ausstrahlung dieser Wachsfigur aus dem 18. Jahrhundert ist immer noch beeindruckend.
Peter der Große ist heute als Wachsfigur nur noch Teil einer Sammlung, die in seinem einstigen Palast gezeigt wird. Doch zu seinen Lebzeiten war er selbst ein leidenschaftlicher Sammler. Dies sind nur einige Erträge seiner Sammelwut, die in der Kunstkamera Peters Kuriositätenkabinett zu sehen sind. Sind sie Zeugnisse eines krankhafte, skrupellosen Charakters oder gibt es für ihre Präsentation noch einen anderen Grund?! Als junger Mann bereiste Peter halb Europa. In Amsterdam hielt er sich gegen den Rat seines Hofes sogar inkognito auf. Oft streifte er entlang der Grachten und durch die Hinterhöfe. Auch verbrachte er Wochen bei den Werften. Wie ein Schatten verfolgte er das Treiben der Schiffbauer. Vermutlich traf er dort auch Männer, die mit Leichen handelten. Zurück in Russland fand er ein Land vor, das ihm mittelalterlicher denn je erschien. Ein Land mit einer veralteten Armee und einem abergläubischen Volk. Doch Peter kehrte mit einer Vision zurück: Er wollte Russland modernisieren und den Anfang sollte die Marine machen. St. Petersburg war der Ort, wo er seinen Ehrgeiz des Flottenprogramms verwirklichen konnte. Alles, was der junge Zar in Amsterdam gesehen und gelernt hatte, sollte nun zur Anwendung kommen. Jeden Morgen eilte er zu den Werften, wo er mindestens für eine Stunde entweder als Zimmermann oder als Konstrukteur beim Schiffsbau half. Die Fregatten waren den Schiffen der großen Seestreitmächte Holland und England schon bald ebenbürtig. Doch die wahre Prüfung stand ihm erst noch bevor. Er wollte seinem Volk den Aberglauben mit Hilfe der Wissenschaft austreiben, so wie er es in Holland gelernt hatte. Nur war das ganz und gar keine leichte Aufgabe. Damals hielten viele Russen missgebildete Neugeborene noch für Kinder des Teufels. Peter war entschlossen mit solchen Ammenmärchen aufzuräumen. Er wollte den Leuten klar machen, dass alles eine natürliche Ursache hat, dass es für alles eine Erklärung gibt. So gesehen macht ihn die monströse Sammlung nicht gleich zu einem Monster. Aber war er deshalb schon ein menschenfreund? Wohl kaum….
Peters Mätresse erfuhr dies zum Beispiel am eigenen Leib. Wegen Kindstötung zum Tode verurteilt, hoffte sie auf Begnadigung. Peter kam also zur Hinrichtungsstätte, trat an sie heran und flüsterte ihr etwas ins Ohr. Jeder erwartete, dass sie sofort frei kommen würde, doch Peter rief mit lauter Stimme, dass er aufgrund der Gesetze nichts für sie tun könnte. Der Scharfrichter hob also sein Beil und schlug ihr den Kopf ab. Peter nahm ihn, küsste ihn und erklärte der Menge die Anatomie des Nackens. Auch das war Zar Peter der Erste von Russland. Große Visionen und großes Skrupellosigkeit gingen bei ihm Hand in Hand. Sein Erbe ist also durchaus zwiespältig. Doch seine Verdienste machen ihn für alle Zeiten zu Peter den Großen.
Katharina II. und die ungestörten Liebesstunden
Selbst ohne ihre weltberühmte Gemäldesammlung würde es einem in der Eremitage den Atem verschlagen. Tatsächlich wirkt sie eher wie ein Palast wie ein Museum – was mitunter daran liegt, dass sie ein Palast war. Unter anderem der Hof der Katharina der Großen. Sie gelangte durch einen Staatsstreich gegen ihren eigenen Mann an die Macht. Sie war erst 34 Jahre alt, als sie den Thron bestieg. Umgeben von Ratgebern, Hofdamen und einer ganzen Armee von Dienern führte sie ein Leben voller Glanz und Luxus. Doch Katharina langweilte das Hofleben, den russischen Adel hielt sie für einfältig und ungehobelt. Sie ließ ein Refugium nahe des Palastes errichten, bescheiden angesichts ihrer Maßstäbe. Sie nannte es Petite Eremitage, die Kleine Eremitage. In den prächtigen Räumen sollten diskrete Festessen stattfinden, einzigst mit handverlesenen Gästen aus halb Europa. Sie wollte sich hier nur mit ihren engsten Vertrauten treffen. Hier genoss sie vor allem die Freiheit nicht auf mögliche Standesunterschiede achten zu müssen. Die aufgeklärte Zarin stattete ihr Liebesnest mit zahllosen Meisterwerken zeitgenössischer Künstler aus, die heute noch den Grundstock der Eremitage-Sammlung bilden. Ein Problem bestand jedoch weiterhin: Für ein Festessen bedurfte es viele dienstbarer Hände. Die Dienerschaft durfte ihre Kaiserin unter keinen Umständen in einer verfänglichen Situation erleben. Was war also zu tun…? In der Eremitage sind die Originalpläne der Kleinen Eremitage zu sehen., entworfen unter Katharinas Federführung. Sie zeigen eine Festtafel, die über einen Schacht mit einer mechanischen Apparatur im Untergeschoss verbunden ist. Diese Tischlein-deck-dich-Konstruktion ist inzwichen allerdings verschwunden. Doch in Katharinas Sommerpalast lässt sich noch heute ein ganz ähnlicher Apparat bestaunen. Die Tische in diesem Saal wirken vollkommen unspektakulär – sind es aber nicht. Denn ihre Beine sind an Winden montiert, die es dem Personal erlauben, sie nach Bedarf hoch- und runterzukurbeln. Wird ein Tisch hochgefahren, gleitet der Boden vorher automatisch zur Seite. Die Hydraulik und die, die sie bedienten, blieben den Gästen im barocken Festsaal verborgen. Jeder Tisch wurde ohne Speisen oder Getränke eingedeckt. Der Gast notierte stattdessen seinen Wunsch auf seinen Teller, zog an einer Klingel und gab so den Dienern im Keller ein Zeichen. Das Küchenpersonal nahm die Bestellung auf und leitete sie weiter. Was Katharinas Gäste auch begehrten, es erschien wie von Zauberhand auf dem Tisch. Die Bewirtung war perfekt, ohne dass sich ein Dienstbote im Raum aufhielt. Nach dem Mahl erging ein weiteres Signal an die Küche. Die Küchenhelfer begannen nun, die Tische herunterzufahren. Die Tafel in der Kleinen Eremitage fußte auf dem gleichen Prinzip wie die Fahrstuhlmöbel. Nachdem schließlich auf der Boden wieder zurückgeglitten war, begann das eigentliche Fest ohne Furcht vor Gerüchten oder einem Skandal.
Diese Hidden Highlights waren nur der Anfang – im zweiten Teil geht es mindestens genauso spannend weiter.
Bildquelle: Peter Rüdiger (Pixabay)